Erster Frust

 

Hvannalindir

 

Weiter zum Kverkfjöll

5.Tag-02.August 2004
Von der Kreppabrücke bis zum Kverkfjöll, 63 km

Heute steht uns ein harter Tag bevor. Ich bin bereits um viertel 6 wach. Eine viertel Stunde später regt sich auch Winfried. Der Wind hat sich über Nacht gelegt und dass Wetter scheint nicht schlecht zu werden. Nach einem guten Frühstück packen wir schnell die Sachen zusammen. Da hat sich mittlerweile Routine eingespielt. So können wir heute schon 5 min nach 7 Uhr starten. Wir überqueren die Kreppa und schließen das Gatter an der Brücke wieder sorgfältig hinter uns. Jetzt beginnt der Nationalpark. Die nächste Zeltmöglichkeit ist erst am Kverkfjöll, es sei denn, wir schaffen es heute nicht bis dorthin. Dann müssen wir verbotener Weise im Nationalpark zelten. Aber das wird wohl als Notsituation akzeptiert.

Die ersten 12-13 Kilometer Richtung Krepputunga laufen gut. Es ist fast windstill und wir müssen nur ab und zu ein paar Meter schieben. Der Berg Upptyppingar bestimmt hier das Landschaftsbild. Wenn wir zurück schauen, können wir die Herðubreið sehen. Deren Gipfel ist in eine Wolkendecke gehüllt. Nachdem wir das erste Lavafeld durchquert haben, führt die Piste am Fuße des Upptyppingar ziemlich genau nach Süden. Die Sandstücke in der Piste nehmen deutlich zu, so dass wir immer mehr schieben müssen. 1994 war an dieser Stelle bereits das Trinkwasser alle, so dass die 30 km bis zur Askia eine echte “Durststrecke” waren. Kurz vor dem Abzweig zum Kverkfjöll nimmt die Schieberei dann größere Ausmaße an. Der Sturm vom Vortag hat an vielen Stellen die Piste mit einer Sandschicht bis zu einem halben Meter zugeweht. Trotzdem brauchen wir für die 19 km bis zur Kreuzung zum Kverkfjöll nur 2 Stunden. Ich warte hier auf Winfried, esse meine Brote und mache die obligatorischen Fotos. Die Sonne ist mittlerweile verschwunden und es sieht so aus, als ob es bald anfängt mit regnen.

Die gelben Schilder zeigen Hvannalindir 17 km, Kverkfjöll 44 km an. Bis Hvannalindir schaffen wir es auf jeden Fall. Aber schon seit der Kreuzung ist an fahren nicht mehr zu denken. Wir müssen die Räder durch tiefen Sand schieben, oft mehr wuchten als schieben. An einer Stelle hat der Sturm von gestern eine halbe Meter hohe Sanddüne wie einen Baumstamm über die Piste gelegt.
Zu allem Überdruß fängt es auch noch an zu regnen. Der feuchte Sand verklebt zusätzlich die Laufräder und das Schieben wird dadurch noch anstrengender. In mir baut sich Frust auf und ich frage mich, was das Ganze soll. Für einige Momente denke ich an aufgeben und umkehren, da wir nicht wissen wie weit das noch so geht. Ich hole eine Tafel Schokolade raus und warte auf Winfried. Als er kommt, frage ich ihn, ob wir umkehren wollen. Er schaut mich verständnislos an und meint, aufgegeben wird nicht. Und tatsächlich, das motiviert mich wieder die Qualen zu ertragen.

6 km hinter dem Abzweig ist der Sand dann endlich zu Ende und wir können wieder fahren. Der Wind hat wieder eingesetzt, doch wir radeln im Windschatten eines Hügelmassivs, so das wir nicht viel davon merken. Jetzt geht es eine kleine Anhöhe hinauf. Bis zur ersten Furt des Flusses Lindaá kann es nicht mehr weit sein. Ich rieche das Wasser regelrecht. Und tatsächlich. Als wir die Anhöhe erreicht haben, ist unten im Tal der Fluss zu sehen. Die Furt ist nicht sehr breit und scheint auch nicht tief zu sein. Am Rand wachsen eine ganze Menge Pflanzen, erste Anzeichen für die Hochlandoase. Nach der üblichen Prozedur, Wanderschuhe ausziehen und am Gepäck festschnallen, Furtsandalen anziehen, beginnen wir mit der Durchquerung des Flusses. Der erste Teil ist ca.40 cm tief. Kurz vor dem anderen Ufer kommt aber noch einmal eine 50-60 cm tiefe Rinne. Ich muss das Rad mehrfach zurecht rücken, aber dann bin ich auf der anderen Seite. Wir ergänzen noch unsere Wasservorräte und dann geht es weiter. Bis zur nächsten Furt bei Hvannalindir sind es nur 5 km. Diese ist nicht sehr tief und auf der anderen Seite des Flusses steht eine kleine Hütte.

Das Wetter ist schlechter geworden, es nieselt und ist deutlich kühler. Ich habe die leise Hoffnung, dass wir die Hütte vielleicht zum Essen kochen und zum aufwärmen benutzen können. Die Fahne an der kleinen Hütte zeigt, dass jemand da ist. Ich gehe gerade zur Hütte, da kommt mir ein Mann Anfang 50 entgegen. Ich sage guten Tag und frage ihn, ob er die Hütte betreut. Er bejaht die Frage. Meine Frage nach der Möglichkeit in der Hütte unser Mittagessen zu kochen, beantwortet er aber unfreundlich mit nein. Er meint, das wäre sein zu Hause und die nächste Möglichkeit zum kochen wäre in der Hütte am Kverkfjöll. Das wir bis dahin locker noch 4 Stunden brauchen, kommt ihm nicht in den Sinn. Er schwingt sich in seinen dicken Jeep und braust Richtung Kverkfjöll davon. Ich weiß nicht, ob ich wütend oder nur erstaunt sein soll. Ich bin über so viel Unfreundlichkeit einfach nur baff. Wir finden aber einen überhängenden Felsen, um darunter unser Essen zu kochen. Der schützt uns vor dem Regen, aber er wärmt nicht.

Nachdem wir gegessen und einen heißen Tee getrunken haben, geht es weiter. Die Piste hat eine sehr lockere Oberfläche, so dass das Fahren zwar einfach, aber anstrengend ist. 10 km hinter Hvannalindir biegt die Piste Richtung Westen ab und sie führt im Zickzack durch ein Gewirr von Lavahügeln. Es geht berghoch. Bis zum Zusammentreffen der östlichen und westlichen Route müssen wir noch eine Hügelkette überqueren. Ca. 15 km hinter Hvannalindir treffen die Pisten dann zusammen. Ich stelle mein Rad an den Wegweiser und merke, dass ich ziemlich erschöpft bin. Ich esse mühsam 2 Müsliriegel und eine halbe Tafel Schokolade. Eigentlich habe ich keinen Hunger, aber ich denke Energiezufuhr kann nicht schaden. Nur keinen Hungerast kriegen. Wir studieren gerade die hier angebrachte Karte des Nationalparks, als eine Gruppe Franzosen in zwei Kleinbussen vorbei kommt. Aus den Fenstern recken sich Hände mit nach oben gestreckten Daumen. Solcher Art Anerkennung tut gut und motiviert zusätzlich.

Von hier aus sind es noch 17 km bis zur Hütte. Die ersten 7 km rollen gut. Als ob wir surfen, so können wir uns mit dem Rad durch das Lavafeld schlängeln. Doch dann fangen wir an die verbleibenden Kilometer zu zählen. Noch 8, 7, 6, 5, 4, 3 km. Nach jedem Kilometer machen wir eine kleine Pause, denn alle Knochen tun uns mittlerweile weh. Irgendwann muss doch die Hütte zu sehen sein. 2 Kilometer vor Schluss sehen wir sie dann. Nur noch eine ziemlich steile Abfahrt und noch 1,5 Kilometer über Lavasteine hoppeln, dann haben wir es geschafft. Es ist 18.40 Uhr. Der Tacho zeigt 63 km. Wir haben 11 1/2 Stunden bis hierher gebraucht.

Wir gehen zu Hütte um uns anzumelden. Wie in jeder Hütte in Island üblich, müssen die Schuhe im Vorraum ausgezogen werden. Bei unseren stinkigen Socken wäre es eigentlich besser, die Schuhe anzubehalten. Es ist recht warm in der Hütte, dass uns sofort der Schweiß auf der Stirn steht. So ist mir die Unterhaltung mit der netten Hüttenwardin eher unangenehm, da ich das Gefühl habe, unheimlich zu stinken. Wir fragen sie noch nach dem Weg zur Eishöhle, lassen uns eine kleine Karte geben und sie erklärt uns die Wanderwege. Sie meint auch, es wären lange keine Radler mehr am Kverkfjöll gewesen.  So nett wie sie ist, bin doch froh, als ich wieder draußen in der Kälte bin. Wir bauen die Zelte auf. Zum essen Kochen muss ich mich regelrecht zwingen, alle Bewegungen gehen jetzt ziemlich langsam. Ich bin froh, als ich im Schlafsack liege. Winfried geht noch duschen, aber dafür habe ich heute keine Kraft mehr. Beim Einschlafen merke ich noch, dass es anfängt zu regnen. Wegen der Anstrengung wird es eine unruhige Nacht, da der Körper nicht zur Ruhe kommt. Trotzdem bin ich sehr zufrieden, einfach weil wir es geschafft haben.

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