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6.00 Uhr. Ich höre Winfried im Nachbarzelt fluchen. “Scheiße, mein Benzin für den Kocher ist alle.” Erst einmal bricht für mich eine Welt zusammen. Wochenlang habe ich für eine Überquerung der Gæsavatnaleið syðri geplant und nun dass. Jedenfalls bin ich erst einmal verärgert, lasse es mir aber nicht anmerken. Ich beruhige mich und rechne nach. Ich habe noch ca. einen 3/4 Liter Benzin für meinen Kocher. Das reicht im Normalfall für zwei Personen für eine Woche. Solange wir auf der Gæsavatnaleid nicht festsitzen, sollte das bis zur Nýidalur-Hütte reichen. Dort bekommen wir schon wieder Benzin.
Um jemanden auf dem Zeltplatz nach Benzin zu fragen, ist es noch zu früh. So frühstücke ich erst einmal in aller Ruhe, fülle danach meine Wassersäcke auf und packe die Sachen zusammen. Ich habe ca. 5,5 Liter Wasser eingepackt und hoffe, dass es bis zur nächsten Nachfüllmöglichkeit reicht. Zur Not müssen wir unterwegs Gletscherwasser filtern. Gegen 7 Uhr mache ich dann einen Rundgang über den Zeltplatz. Am anderen Ende des Zeltplatzes ist bereits einer der Motorradfahrer wach. Ich frage ihn, ob er vielleicht einen halben Liter Benzin übrig hat. Nach einigem Zögern stimmt er zu, denn die Motorradfahrer leiden in dieser Wüstengegend meistens auch unter Benzinmangel. So, nun sieht die Welt wieder viel freundlicher aus.
Im Gegensatz dazu ist das Wetter heute überhaupt nicht freundlich. Über die ganze Ebene hat sich eine Nebeldecke gelegt. Die Sicht beträgt etwas mehr als 500 m. Gegen halb acht sind wir dann startklar. Ich bestimme zur Sicherheit mit dem GPS-Gerät noch die Position der Hütte, man weiß ja nie. Die ersten Kilometer holpern wir über eine steinige Piste. Es geht nicht schnell vorwärts, aber wir können fahren. Etwas abseits der Piste hat der Bach, der aus der Schlucht Drekagil kommt, eine kleine Hochlandoase gebildet, wo wir noch einige Fotos machen. Wahrscheinlich sind diese Blumen die letzten Farbtupfer für die nächsten 3 Tage. Mittlerweile lugt die Sonne ab und zu durch die Nebeldecke hindurch. Der Nebel schein sich langsam aufzulösen.
Nach 7 km ist mit fahren Schluß. Spätestens da, wo die Piste stark nach Westen abbiegt, ist an fahren nicht mehr zu denken. Wir sinken mit den Schuhen meistens bis zu den Knöcheln in den schwarzen Lavasand ein. Hat bis hierher noch der Berg Vaðalda das Bild bestimmt, so öffnet sich jetzt eine endlos lange Sandwüste. Schwarzer Sand bis zum Horizont, kein Berg oder größerer Stein, an dem sich das Auge festhalten kann. Die Entfernung geht in der endlosen Weite der Sandwüste unter. Das Schieben kostet verdammt viel Kraft und ich frage mich, wie wir die nächsten 17 km schaffen sollen. 17 km deshalb, weil das die Kilometeranzahl ist, die ich 1994 hier schon einmal geschoben habe. Nur damals konnte man immer ein paar Meter fahren, da es die Tage vorher geregnet hatte und der Lavasand deutlich fester war als heute.
3 km haben wir erst geschoben und mir tun die Arme so weh, dass ich das Rad kaum noch vorwärts bekomme. Irgendetwas müssen wir uns einfallen lassen, damit es leichter geht. Ich erinnere mich an den Gürtel, den sich der in Island sehr bekannte Schweizer Postrad-Schieber/Fahrer Josef gebastelt hatte. Er hatte einen dicken Gürtel mit einem kurzen Seil und einem Haken dran. Den Haken hängt er dann im Gepäckträger ein und so kann er das Rad auch mit dem Oberkörper ziehen und die Arme werden entlastet. Gürtel und Haken haben wir leider nicht, dafür aber genug Packriemen. Wir basteln uns jeder aus zwei Packriemen etwas Ähnliches. Leider sind die Packriemen nicht sehr breit, so dass sie stark in der Hüfte drücken. Aber das Schieben geht jetzt einfacher und die Arme werden deutlich entlastet. Auch hat sich der Nebel verzogen und die Sonne scheint. Nur habe ich jetzt das Gefühl, dass ich durch die Anstrengung vom Schieben zu viel Wasser benötige.
Nach 5 km (12 gesamt) Schieben kommt das Schild, dass auf den Fluss Svartá hinweist. Ich lehne mein Rad daran und warte erst einmal auf Winfried. Eigentlich hätte ich ja noch Lust bis zum Fluss zu laufen. Ich verzichte aber darauf, um Kräfte zu sparen. Wir essen etwas und lassen den Blick zurück schweifen. Zwischen Askia-Massiv und dem Berg Vaðalda ragt am Horizont die Herðubreið hervor. Ab hier kann ich mich, bis das erste Lavafeld anfängt, an nicht mehr viel erinnern. Ich habe stur, wahrscheinlich wie in Trance, vor mich hingeschoben und über alles Mögliche in der Welt sinniert. Verschieben kann man sich nicht, da die Richtung durch die Autospur im Sand und die gelben Markierungspfähle eindeutig vorgegeben ist. Ich “wache” erst wieder auf, als das erste Lavafeld anfängt. Die Piste führt in vielen Kurven hindurch und an fahren ist immer noch nicht zu denken. Hier im Lavafeld überholt uns ein isländischer Jeep. Das Fenster wir heruntergekurbelt und eine Frau schaut heraus. Sie fragt uns ob alles okay ist. Wir bejahen, aber ihr letzter Satz zum Abschied ist, “You must be crazy or stupid to do this track with bicycle”. Wir entscheiden uns für crazy und dann sind wir wieder allein in der Lavawüste.
Am Ende des Lavafeldes öffnet sich die Schwemmlandebene. Hat das Lavafeld noch ein bisschen Windschutz gegeben, so sind wir jetzt vollkommen dem Wind ausgesetzt. Kein Stein weit und breit, wo man sich verkriechen kann. Irgendwie ist mir doch etwas mulmig zu Mute. Der feine Sand wird in ca. 50 cm Höhe über die Ebene gefegt. Zum Glück kommt der Wind von hinten, ist aber so stark, dass der Sand an den nackten Waden ein Gefühl hinterlässt, als ob man ständig mit kleinen Nadeln gestochen wird. Hautpeeling umsonst so zusagen. Durch den Sand wird zusätzlich die Sicht erschwert, es sind aber immer noch die nächsten 4, 5 bis 6 Markierungspfähle zu sehen. Ich hole das Fernglas raus und suche den Horizont nach Schmelzwasser ab. In ca. 3 km Entfernung ist ein Wegweiser zu sehen. Bis dahin ist alles trocken. Dort trennt sich die Gæsavatnaleið zum ersten Mal in die Nord- und Südroute. Die Nordroute führt dann weiter in nordwestlicher Richtung in ein Lavafeld hinein, während die klassische Südroute auf einer Strecke von ca. 15 km das Schwemmland Richtung Urðaháls durchquert. Folgt man von dieser Kreuzung aus der Nordroute noch weitere 10 km, so gibt es dort noch einmal einen Abzweig Richtung Gæsavatnaleið syðri. Wir wollen diese Strecke nehmen, da es uns so gelingt, das Schwemmland zu umgehen. Es ist jetzt bereits Nachmittag und das Schwemmland sollte um diese Zeit gut mit Gletscherwasser gefüllt sein.
Am Wegweiser angekommen, mache ich mache ich erst einmal eine Pause. Durch das Lavafeld hindurch hab ich Winfried ganz schön abgehängt. Er ist nur noch als kleiner Punkt am Horizont zu sehen. Trotz des Sandsturmes mache ich einige Fotos. Das einzige Motiv hier ist eigentlich nur der Wegweiser. Als Winfried da ist, beratschlagen wir. Wenn wir es heute noch bis zur anderen Kreuzung schaffen, dort übernachten, dann haben wir morgen die freie Wahl, ob wir die Gæsavatnaleið syðri oder nyðri fahren. Unter den jetzigen Bedingungen habe ich nämlich für die Gæsavatnaleið syðri so meine Zweifel.
Der Rückenwind schiebt enorm. So ist das nächste Lavafeld recht schnell erreicht. 1994 konnten wir ab dieser Stelle wieder fahren, auch wenn die Piste hier sehr holperig ist. Am Anfang geht es auch ein paar Meter, aber dann geben wir es wieder auf. Die Piste ist durch den starken Wind zum großen Teil verweht und es sind immer wieder lange Sandpassagen zu schieben. Auch fängt es an zu regnen. Bald regnet es so stark, dass wir die Goretexjacke rausholen müssen. Wie ich so vor mich hinschiebe, hält neben mir ein Jeep aus Deutschland. Wir wechseln ein paar freundliche Worte. Der Fahrer sagt, das mein Kumpel Winfried nur kurz hinter mir ist. Winfried ist durch die vielen Kurven im Lavafeld aber noch nicht zu sehen. Da mein Wasservorrat ziemlich zur Neige geht, frage ich ihn nach Wasser. Er reicht mir einen 2 Liter Tetrapack Mineralwasser aus dem Fenster. Ja so sind sie, die Jeeptouristen, selbst das Wasser bringen sie aus Deutschland mit. Das ist mir aber im Moment egal. Ich bin froh, dass ich jetzt wieder 3 Liter Wasser habe, so dass ich nicht unbedingt sparen muss.
Nachdem der Jeep davon gebraust ist, kommt auch Winfried um die Kurve. Bis zur Kreuzung müssen es noch ca. 1,5 km sein. Als wir den Wegweiser sehen, fangen wir an, einen einigermaßen windgeschützten Platz für die Zelte zu suchen. In einer ca. 2 m tiefen Lavamulde finden wir für zwei Zelte einen Platz. Es ist 17 Uhr, eigentlich zu früh zum Aufhören, aber hier haben wir die beste Ausgangsposition für den nächsten Tag. Mittlerweile regnet es immer stärker. Der Lavasand bleibt durch die Feuchtigkeit überall kleben, so dass nach kurzer Zeit alle Sachen, die wir auspacken, eingedreckt sind.
Trotz des schlechten Wetters ist es ein schönes Gefühl im Schlafsack zu liegen. Das Essen steht auf dem bullernden Kocher und bald gibt es Curryreis und einen heißen Tee. Nach dem Essen schaue ich noch einmal aus dem Zelt. Von der Askia her peitscht der Wind dicke Regenwolken in Richtung Trolladyngja. An einer Stelle, wo das Regenwasser in einer kleinen Rinne vom Zelt läuft, stelle ich meinen 1,5 Liter Topf darunter. So habe ich morgen noch neues Trinkwasser. Das letzte, was ich vor dem Einschlafen registriere ist, dass mir die Hüfte von den Packriemen vom Schieben weh tut. Dann schlafe ich tief, fest und traumlos.
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